Mystisches Kempten 14.01.-16.01.2025
Es ist später Nachmittag, als wir unser Wohnmobil starten und Kurs auf das winterliche Allgäu nehmen. Die Straßen schlängeln sich durch verschneite Hügel, an den Hängen glitzern vereiste Tannen im letzten Licht des Tages. Über uns färbt sich der Himmel allmählich violett, während die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet – ein Bilderbuchabend wie aus dem Kalender.
Die Welt draußen wirkt still, fast andächtig. Nur gelegentlich begegnet uns ein Traktor oder ein anderer Wohnmobilfreund – ansonsten gehört uns die verschneite Landstraße ganz allein.
Je näher wir Kempten kommen, desto deutlicher zeigen sich die Lichter der Stadt – wie ein leuchtender Teppich im Tal, eingerahmt von dunklen Höhenzügen. Ein magischer Anblick nach der ruhigen Fahrt durch die weiße Winterwelt.
Der Stellplatz am Illerstadion ist schnell gefunden, gut geräumt und beleuchtet. Ein paar andere Camper stehen bereits da, ansonsten herrscht friedliche Ruhe. Nach einem kleinen Imbiss starten wir mit einer dicken Portion Vorfreude auf das, was Kempten bei Nacht zu bieten hat…
WARTEN AM FALSCHEN TREFFPUNKT – GRUSEL BEGINNT FRÜHER ALS GEDACHT
Pünktlich sind wir. Vielleicht sogar ein bisschen zu pünktlich. Dick eingepackt in Mütze, Schal stehen wir um kurz vor neunzehn Uhr vor der großen Kirche. Die Fassade der St. Mang-Kirche ist geheimnisvoll angestrahlt, der Platz liegt ruhig und fast leer vor uns – perfekte Kulisse für eine Gruselführung, denken wir.
Nur: Niemand sonst ist da.
Wir checken nochmal den Buchungsbeleg. Dort steht klar und deutlich: Treffpunkt Erasmuskapelle. Uff. Gerade noch rechtzeitig bemerkt. Wir haben’s noch rechtzeitig geschafft – leicht verschwitzt, leicht nervös, aber voller Vorfreude auf das, was jetzt kommt erreichen wir den Eingang zur Erasmuskapelle.
MYSTISCHES KEMPTEN – GRUSEL, GESCHICHTE & GÄNSEHAUT
Kempten bei Nacht – das ist ein völlig anderes Erlebnis. Punkt 19 Uhr beginnt unsere Tour „Mystisches Kempten“, eine geführte nächtliche
Stadtwanderung mit düsterem Flair.
Von Hexen, Toten & vergessenen Seelen
Die Route führt durch die verwinkelten Altstadtgassen, vorbei an stillen Innenhöfen, dunklen Kellern und unscheinbaren Türen, hinter denen sich schaurige Geschichten verbergen. Unsere Führer erzählt eindringlich von der Zeit der Hexenverfolgung in Kempten, wo Frauen denunziert und verbrannt wurden – nicht selten wegen harmloser Kräuter oder eines falschen Blicks.
Am ehemaligen Galgenplatz bleibt sie stehen, schaut uns an und raunt:
„Hier baumelten einst die Körper der Verurteilten. Manche sagen, sie hängen noch heute…“
Es ist mucksmäuschenstill in der Gruppe.
Friedhofsgeflüster und der Fluch der Iller
Weiter geht es zum alten Friedhof, wo Geschichten über unruhige Geister, verschwundene Gräber und rätselhafte Geräusche die Runde machen. Ein besonders unheimlicher Moment: Als sie bei den Mauern der Residenz erzählt, dass dort die „weiße Frau“ gesichtet wurde – eine Adelige, deren Kind im Fluss ertrank. Ihr Geist soll heute noch nach dem verlorenen Sohn suchen.
Die stimmungsvoll beleuchteten Gebäude wirken plötzlich fremd, die Schatten länger, die Nacht dichter. Die Iller, die tagsüber fröhlich plätscherte, rauscht nun drohend im Hintergrund.
Zwischen Theater & Geschichte
Was diese Führung besonders macht, ist die gelungene Mischung aus authentischer Stadtgeschichte und theatralischer Inszenierung. Unsere Führer ist mehr als ein Erzähler – er spielt seine Rolle mit Leidenschaft. Mal flüstert er, mal schreit er, mal schleicht er zwischen uns hindurch. Licht und Dunkel wechseln sich geschickt ab, manche Geschichten werden szenisch dargestellt, mit kleinen Effekten, ohne übertrieben zu wirken.
15.01.2025 EIN NEUER TAG IN KEMPTEN – STADTBUMMEL
Nach einer kalten, aber ruhigen Nacht auf dem Stellplatz begrüßt uns der Morgen mit strahlend blauem Himmel. Der erste Weg führt uns zum Klosterplatz, um unseren kleinen Stadtbummel durch die Kemptener Fußgängerzone zu starten. Die Mischung aus alten Bürgerhäusern, modernen Geschäften und kleinen Gassen gefällt uns – übersichtlich, freundlich und nicht zu touristisch überladen. Immer wieder entdecken wir kleine Läden, Handwerkskunst und typisch Allgäuer Spezialitäten.
RAUS AUS DER STADT – WASSERWEGRUNDE BEI DURACH
Nach einem kurzen Bummel durch die Kemptener Innenstadt, merken wir: So schön die Stadt ist – uns zieht’s heute raus in die Natur. Also beschließen wir spontan, das Wohnmobil wieder startklar zu machen und ein paar Kilometer Richtung Süden zu fahren, genauer gesagt: nach Durach zur Wasserwegrunde.
Nur rund 10 Minuten von Kempten entfernt liegt dieser kleine, aber landschaftlich reizvolle Rundweg – perfekt für einen entspannten Nachmittag an der frischen Winterluft. Schon die Anfahrt ist ein Genuss: sanfte Hügel, weiße Felder, tief hängende Nebelschwaden über der Iller.
Die Wasserwegrunde – kurz, knackig, wunderschön
Die Wasserwegrunde selbst ist ein etwa 6,5 km langer Spazierweg entlang eines kleinen Wildbachs, vorbei an Holzbrücken, Wasserfällen, kleinen Tümpeln und liebevoll gestalteten Infotafeln zum Thema Wasser, Natur und Nachhaltigkeit. Alles ist auch im Winter gut begehbar – teilweise rutschig, aber mit festem Schuhwerk kein Problem.
Was uns besonders gefällt: die Mischung aus Natur und Ruhe. Keine Hektik, kaum Menschen, nur der Bach, der plätschert, und die Bäume, die sich leicht im Wind wiegen. Auch unser Hund kommt voll auf seine Kosten – und springt begeistert durch den frischen Schnee am Wegrand.
Die Sonne bricht durch die Wolken, wir atmen tief durch. Das ist genau der Ausgleich, den wir nach dem Stadttag gebraucht haben.
STILLER MOMENT AN DER WALDKAPELLE
Auf dem Rückweg von der Wasserwegrunde entdecken wir – eher zufällig – ein kleines Schild zur Waldkapelle Durach. Neugierig biegen wir ab, und dann steht sie plötzlich da: Eine kleine, schlichte Kapelle, eingerahmt von verschneiten Bäumen, das Dach mit Reif bedeckt, davor eine Bank und eine geschnitzte Tafel mit einem Segensspruch. Keine große Sehenswürdigkeit – und doch ein Ort, der wirkt. Still, friedlich, fast zeitlos. Ein Ort zum Durchatmen. Vielleicht gerade deshalb so besonders, weil er nicht auf Postkarten zu finden ist.
KAFFEEPAUSE & WEITERFAHRT
Mit einer Kaffeepause in einer etwas in die Jahre gekommenen Gaststätte genießen wir eine heiße Tasse Kaffee und einen Apfelstrudel mit Vanilleeis.
WEITERFAHRT NACH ISNY – EIN PUB, VIELE LEUTE, KEINE PLÄTZE
Nach der Wanderung nehmen wir gemütlich Kurs auf Isny im Allgäu. Die Strecke ist überschaubar, rund 45 Minuten Fahrzeit, vorbei an verschneiten Hügeln, weiten Tälern und kleinen Dörfern. Die Sonne zeigt sich zwischendurch, die Landstraße ist frei – ideales Wohnmobilwetter im Winter.
Unser Übernachtungsplatz liegt angenehm stadtnah, nur etwa zehn Minuten zu Fuß vom Zentrum entfernt – ruhig gelegen, gut beleuchtet und auch im Winter bestens befahrbar. Stromanschluss vorhanden, Versorgungssäule direkt am Platz. Hier lässt sich’s aushalten!
Nach einem kurzen Spaziergang durch das stimmungsvoll beleuchtete Isny (Lichterketten, Fachwerk, Kopfsteinpflaster) führt uns der Abend zielstrebig in Richtung: Irish Pub – in dem wir schon öfters waren, und nach so viel Winterluft darf’s auch mal ein Pint sein.
Im Pub: Irisch, laut, voll – und trotzdem klasse
Der Pub liegt mitten in der Altstadt – warm, urig, gut besucht. Sehr gut besucht. Eigentlich: randvoll.
Kaum treten wir ein, schlägt uns ein Schwall Musik, Stimmen und Guinnessduft entgegen. Kein freier Tisch, keine Ecke, kein Hocker. Nur ein schmaler Platz an der Wand entlang –
mehr ist nicht drin, aber besser als nichts.
Trotzdem: Die Stimmung ist großartig. Musik, lachende Gesichter. Unser Guiness kommt in unter einer Minute, – und schon fühlen wir uns mitten drin im Geschehen.
Nach einer guten Stunde, zwei Runden ziehen wir zufrieden wieder ab – ein Abend, der bleibt.
16.01.2025 AUSSCHLAFEN & WINTERMORGENRUHE
Der nächste Morgen beginnt… spät.
Nach dem lebhaften Abend im Irish Pub schlafen wir aus – so richtig. Keine Wecker, kein Zeitdruck, nur das leise Prasseln der Standheizung und der Blick aus dem Fenster auf eine friedlich
verschneite Wiese. Das ist echtes Wintercamping-Glück: draußen Minusgrade, drinnen warm eingekuschelt im Womo – und einfach mal nichts müssen.
Erst gegen späten Vormittag machen wir uns langsam fertig. Heute steht zum Abschluss noch ein kleiner Ausflug an: eine Wanderung zur Burgruine Ratzenried – nur wenige Kilometer westlich von Isny, gut erreichbar mit dem Wohnmobil und ideal für einen halben Tag Bewegung in der Natur.
WANDERUNG ZUR BURGRUINE RATZENRIED – MIT AUSSICHT UND DROHNE
Wir starten am Ortsrand von Ratzenried, schnüren die Stiefel und stapfen los – über einen leicht ansteigenden, gut ausgeschilderten Pfad durch Wald und offene Wiesen. Der Schnee knirscht, die Luft ist klar, und ab und zu lassen sich sogar ein paar Sonnenstrahlen blicken.
Nach etwa 30 Minuten erreichen wir die Burgruine Ratzenried – ein kleiner, aber malerischer Ort mit altem Gemäuer, weitem Blick über die Allgäuer Hügellandschaft und genau dem richtigen Maß an Wildromantik. Kein Touristen-Hotspot, sondern eher ein Geheimtipp.
Und hier kommt sie zum Einsatz: die Drohne.
Wir lassen sie steigen – ganz langsam, leise surrend – und sie fängt ein, was uns sprachlos macht: die Ruine von oben, das Lichtspiel auf den verschneiten Mauern der Ruine, die Schatten der Bäume im Schnee. Wirklich magische Aufnahmen. Die perfekte Erinnerung an eine Wintertour, die alles hatte: Natur, Kultur, Ruhe und kleine Abenteuer.
HEIMFAHRT MIT WEITBLICK
Zurück am Womo kochen wir noch einen letzten Kaffee, schauen gemeinsam auf das Drohnenbild auf dem Tablet – und beschließen: Das war nicht die letzte Tour ins Allgäu.
Dann heißt es: alles verstauen, Navi einstellen. Die Heimfahrt beginnt – mit leichtem Herz, ruhigem Kopf und dem guten Gefühl, dass selbst kurze Winterauszeiten echte Erlebnisse sein können.
Reisen veredelt den Geist und räumt mit Vorurteilen auf.
Oscar Wilde